50 Jahre IgE

Mai 2, 2017 | Allergiediagnostik, News

Die meisten Menschen geniessen jetzt den Frühling, wenn die Vögel zwitschern und alles blüht. Für viele Menschen bedeutet Frühling allerdings nicht nur Liebe, Aufbruch und Glück, sondern Jucken, Tränen, Husten oder sogar Asthma. Ungefähr 20% der Österreicher leiden unter einer Allergie, und ein beträchtlicher Prozentsatz von ihnen ist gegen Pollen von Frühblühern, wie Weiden oder Birken, allergisch.
 
Die Bezeichnung „Allergie“ steht für eine immunologisch bedingte Überempfindlichkeit  gegen im Prinzip unschädliche – also z.B. nicht infektiöse – Substanzen aus der Umwelt. Dieser Begriff  wurde bereits 1906 vom österreichischen Kinderarzt Clemens von Pirquet geprägt (von gr. allos = anders und ergon = Reaktion). Die Allergie hat auch eine wesentliche erbliche Komponente, d.h. das Allergierisiko ist bei Nachkommen von einem oder beiden Elternteilen mit Allergie viel höher als in der Normalbevölkerung.
 
Die von Pirquet angenommene immunologische Ursache von Allergien wurde erstmals im Jahr 1921 von den beiden deutschen Ärzten Prausnitz und Küstner bewiesen. Prausnitz hatte eine Allergie gegen Fisch, Küstner gegen Pollen. In einem Selbstversuch injizierten sich die beiden Forscher zuerst ihr eigenes Blutserum unter die Haut, nach einigen Stunden dann bei Prausnitz gefolgt von der Injektion einer kleinen Menge Fischextrakt,  bei Küstner von einem Extrakt der verdächtigten Pollen. In beiden Fällen entwickelte sich an der Einstichstelle rasch eine entzündliche Schwellung (Quaddel), wie wir das heute beim diagnostischen Hauttest in den allergologischen Praxis kennen.
 
Aber damals war das allergieauslösende Prinzip noch nicht bekannt, v.a. weil keine empfindlichen Methoden zum Nachweis der postulierten Blutfaktoren (der sog. Immunoglobuline = Antikörper) zur Verfügung standen. Das änderte sich erst im Jahr 1967 – also vor genau 50 Jahren (!) – als das in Kalifornien tätige japanische Ehepaar Ischizaka nach jahrelanger, mühsamer Forschungsarbeit  eine bis dahin unbekannte Klasse von Antikörpern aus dem Blutserum von Allergikern isolieren konnte, die für das Auftreten der Erkrankung verantwortlich waren. Diese Antikörper erhielten die Bezeichnung Immunglobulin E (= IgE). (Die bis dahin bekannten Antikörperklassen – mit anderer Wirkungsweise – waren die der Klassen IgM, IgG, IgA und IgD.) IgE kommt im Blutserum allerdings nur in sehr geringer Konzentration vor, weshalb heute die von den Ishizakas verwendeten chemischen Nachweismethoden für eine routinemässige Diagnostik viel zu aufwändig wären. Da ereignete sich im Jahr 1966 etwas Unvorhergesehenes, das ebenfalls 1967 in die wissenschaftliche Literatur einging:  der Schwedische Arzt S.G.O. Johansson behandelte Patienten mit Blutkrankheiten, darunter dem sog. Multiplen Myelom, bei dem die Tumorzellen (sog. Plasmazellen) grosse Mengen einer einzigen Klasse von Immunglobulinen produzieren. Im Rahmen seiner Arbeiten stiess Johansson auf einen Myelompatienten, dessen Serum voll von Immunglobulin einer bisher unbekannten Klasse war. Johansson war aber als Wissenschaftler intellektuell auf dieses „Forscherglück“ vorbereitet: er kannte die Arbeiten der Ishizakas, und die beiden Arbeitsgruppen verglichen daher sofort ihre Ergebnisse. Bei der unbekannten Immunglobulinklasse im Serum des schwedischen Patienten handelte es sich um das bereits von den Ishizakas identifizierte IgE!  Nun hatte man in Schweden einen Spender zur Verfügung, aus dessen Blutserum reinstes IgE ohne komplizierte chemische Prozeduren isoliert werden konnte. Mit dem gereinigten IgE aus diesem Serum konnten nun erstmals hochempfindliche Bluttests für die Allergiediagnostik entwickelt werden. Man war einerseits in der Lage, die Gesamtkonzentration von IgE im Serum von Patienten bestimmen, andererseits auch den darin enthaltenen Anteil von IgE-Antikörpern, die spezifisch gegen verschiedene allergieauslösende Substanzen (sog. Allergene, z.B. Birkenpollen) gerichtet waren.
 
Der Verfasser dieser Zeilen – Georg Wick – hat im übrigen sowohl die Ishizakas als auch Johansson noch persönlich gekannt!
 
Als Standards für die genannten Bluttests dienten allerdings noch viele Jahre lang grobe Extrakte der in Frage stehenden Allergene. In diesen Extrakten waren natürlich auch viele irrelevante Komponenten (meist andere Eiweissstoffe) enthalten, gegen die der untersuchte Patient gar keine IgE-Antikörper gebildet hatte. Das änderte sich erst im Jahr 1980 als es dem  österreichischen Forscher Heimo Breiteneder aus der Wiener Arbeitsgruppe von M. Breitenbach und D. Kraft weltweit erstmals gelang, ein Allergen (und zwar ein Birkenpollenallergen) gentechnisch rein darzustellen. Diese Pionierleistung aus Österreich stiess das Tor zu einer neuen Ära der wissenschaftlichen und praktisch medizinischen Allergologie auf. Auch heute erscheinen jede Woche noch wissenschaftliche Artikel, in denen die gentechnische Herstellung von Allergenen verschiedenster Herkunft, von Insektengiften über pflanzliches Material bis zu Eiweissstoffen in Nahrungsmitteln, beschrieben wird. Diese reinen Allergene werden dann für eine exaktere Diagnose und wirksamere Therapie – in neuester Zeit auch in Form von Allergentabletten – verwendet.
Die unter dem Dach der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) vereinten österreichischen Allergologen sind auf diesem Fachgebiet auch 50 Jahre nach der Entdeckung von IgE und 111 Jahre nach Clemens von Pirquet weltweit führend.